Sonntag, 2. Juni 2013

Rhein-Burgenweg - Etappe 9

Die Idee zu dieser Tour kam auf, als vor einiger Zeit ein Newsfeed von wandernbonn.de in meiner Inbox aufschlug. Der Bericht und die Fotos machten definitiv Lust darauf die Strecke einmal nachzuwandern und am letzten Sonntag bot sich zeit- und wettertechnisch die passende Gelegenheit. Gemessene 21,5 Kilometer und knappe 600 Höhenmeter galt es zu bewältigen, also ging es entsprechend früh los.

Da die Anreise nach Bad-Salzig im Mittelrheintal mit der Bahn ein wenig zeitintensiv (und auch nicht wirklich billig) ausgefallen wäre, entschieden wir uns für die Anfahrt mit dem Auto. Um kurz vor 11 hatten wir das Wandermobil an einem Parkplatz nahe des Bahnhofs, zu dem wir nach der Tour von St. Goar mit der Bahn zurückzukehren gedachten, abgestellt und stiegen gerade in die Wanderstiefel, als uns ein Anwohner, der uns bereits einige Minuten beobachtet hatte, ansprach: "Wollt Ihr den Wagen hier länger abstellen?" "Wieso?" lautete meine erste vorsichtige Nachfrage. "Na, wegen dem Hochwasser. Oder meint Ihr wir stellen die Stege hier zum Spaß auf?". Erst jetzt fiel uns auf, dass das Baugerüst am benachbarten Gebäude irgendwie gar nicht so richtig nach Baugerüst aussah. "Das kann hier schnell gehen, mit dem Wasseranstieg." fuhr er fort, "Wenn Ihr 6 bis 7 Stunden hier steht, könnte es sein, dass Ihr heute Abend nasse Füße bekommt." Wir überlegten nicht wirklich lange, vor allem als wir bemerkten, dass in einem nahen Fußgängertunnel der unter der B9 durch zur Uferpromenade führt, das Wasser des Rheins schon fast bis zur Decke schwappte, bedankten uns artig für den guten Rat und suchten uns auf der Bergseite des Bahndamms einen um einige Meter höher gelegenen Parkplatz - natürlich schon mit einiger Neugier, wie sich der Rheinpegel über den Tag denn wirklich entwickeln würde.

Das unerwartet sonnige Wetter ließ zuerst auch jegliche Gedanken an Hochwasser oder an Wasser im Allgemeinen in den Hintergrund rücken. Lediglich der Pfad durch den Wald oberhalb des Kurparks von Bad-Salzig, der infolge der Regenfälle der letzten Tage und Wochen sehr schlammig und glitschig war, erinnerte uns daran, dass wir vor nicht allzu langer Zeit noch heftig über schlechtes Wetter geflucht hatten. Obwohl fast überall ein frischer Wind wehte, der es mitunter auch etwas unangenehm kühl werden ließ, hatten wir überhaupt keinen Anlass uns über irgendwelche Wetterunbill zu beklagen.

Der erste Teil führte uns, nachdem wir den Wald hinter uns gelassen hatten, über luftige Höhen mit teilweise gepflegten, teilweise verwilderten Streuobstwiesen. Hier gab es im Kilometertakt jede Menge schöne Ausblicke auf das Rheintal und die angrenzenden Seitentäler. Dort wo der Wind ein wenig nachließ, wärmte die Sonne schon ganz ordentlich - nach langem, zähem, kaltem und nassem Frühjahr endlich eine fast schon heilsame Erfahrung. Dann wurde die Wegführung langsam aber sicher ein wenig anspruchsvoller. Über einen lauschigen, schmalen Pfad durch einen Eichenwald ging es hinauf zum Köppchen, wo sich abermals ein toller Blick auf das Rheintal bot. Ein wenig später konnten wir auch schon den kleinen Ort Hirzenach erblicken, wo wir zur Rast in der Gaststätte "Rebstock" einkehren wollten. Der steile Abstieg nach Hirzenach über alte, verwilderte Weinterrassen gab in jedem Fall schon mal einen kleinen Eindruck davon, was uns später noch erwarten sollte.

Im "Rebstock" in Hirzenach war man offenbar auch vom guten Wetter überrascht worden, oder hatte wegen des erwarteten Hochwassers nicht mit vielen Gästen gerechnet. Jedenfalls schlug eine der Kellnerinnen als wir die Gaststube betraten, einen lautlosen Ausruf unterdrückend, beide Hände vors Gesicht, so dass wir zuerst dachten unser Outfit wäre absolut nicht konform zur Kategorie der gewählten Lokalität. "Ach, herrje!" sprach`s und warf einen kurzen, besorgten Blick durch den Raum auf die überall besetzten Tische. Auf unsere Frage: "Haben Sie die Außenterrasse heute geöffnet?" kam nur ein resignierendes "Nehmen´s uns net übel, aber wenn wir jetzt auch noch ´draußen anfangen mit servieren, dann gehet mir hier unter!". Die einzige Möglichkeit für uns - das wurde schnell offenbar - doch noch einen Platz zu bekommen, sah die Gute darin, bei zwei älteren Damen, die an einem längeren Tisch Platz genommen hatten anzufragen, ob sie etwas dagegen hätten, wenn wir uns dazu setzten. Höflich und zuvorkommend, wie ältere Damen nun einmal sind, war das natürlich überhaupt kein Problem, und so hielten wir auch bald darauf die kleine, aber feine Speisekarte in Händen.

Das Essen (mit Pilzen und Seranoschinken gefüllte Hähnchenbrust mit Bandnudeln und buntem Salat) war vorzüglich, der halbtrockene Riesling den ich mir dazu ausgesucht hatte erfrischend süffig und das Rahmenprogramm, in Form des realsatirischen Dialogs der beiden älteren Damen an unserem Tisch, verlief ebenfalls bestens. Da wurde nach Herzenslust über alle Verwandten und Bekannten die den beiden gerade in den Sinn kamen abgehetzt, dass es nur so eine Lust war. Gut nur, dass ich durch die beim Essen ja völlig unvermeidlichen und in Zweifelsfall erklärbaren Mundbewegungen aka "Kauen", jederzeit für etwaige, kurzfristige und unkontrollierte Entgleisungen meines Minenspiels entschuldigt gewesen wären, hätten die beiden denn ihrer Umwelt die entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt. Aber das taten sie nicht und steigerten sich geradezu weltvergessen in einen verbalen Blutrausch dessen Bandbreite von "mit der kann ich net, da stimmt die Chemie einfach net" über "so e richdisch ungepflechte Frau es des, so e bissje asozial" bis hin zu Kraftausdrücken ("Schlampe!") reichte. Kulinarisch und unterhaltungstechnisch völlig zufrieden gestellt, bezahlten wir unsere Rechnung und machten uns an die verbleibenden 14 Kilometer in Richtung St. Goar.

Wie es nach einer Mittagseinkehr häufig der Fall ist, ging es zuerst einmal steil bergan, wieder über romantisch, wilde Pfade auf die Rheinhöhen. Hier konnten wir bei den Blicken ins Rheintal auch wieder und wieder die Ausmaße sehen, die das Hochwasser mittlerweile angenommen hatte. Stellenweise lagen die Straßen nur noch wenige Dezimeter oberhalb der Wasserlinie und etliche Gärten und flussnahe Parks meldeten schon "Land unter". Ein breiter Waldweg führte uns auf den Bergen entlang des Rheins weiter. Immer wieder mussten wir kleine Schlenker durch die Einschnitte der Nachbartäler laufen und konnten dabei den mächtig angeschwollenen, sonst eher kleinen Bächen zuschauen, die sich nun in lebhaft sprudelnd zu Tal stürzten. Natürlich boten sich hier auch viele Gelegenheiten für Langzeitbelichtungen, die ja den regelmäßigen Lesern meines Blogs fast schon an den Ohren heraushängen müssen :-)

Einen ersten Hinweis über das "Begehen eines Wanderweges auf eigene Gefahr" wegen der starken Regenfälle ignorierten wir geflissentlich und wurden mit einem traumhaft wilden Pfad durch einen Eichenwald über felsige Klüfte belohnt. Ein weiteres Absperrband an einer nächsten Weggabelung unterliefen wir nach kurzem Zögern ebenfalls. Zuerst sah es auch so aus als wäre auch diese Warnung ein wenig übertrieben gewesen, denn auch hier bot sich ein abwechslungsreicher Pfad, meiner Meinung nach das Highlight der gesamten Strecke. Nach einem guten Kilometer wurden wir dann hinter einer Biegung auch mit dem Grund für das Absperrband konfrontiert. Der Weg war an einer Stelle über mehrere Meter bis auf 30 cm Breite abgestürzt und eine dichte Buche von 20 cm Durchmesser hatte sich durch einen kleinen Bergrutsch quer über den Weg gelegt. Es folgte eine spannende Kletterpartie die zwar nicht wirklich gefährlich war, aber dennoch technisch durchaus anspruchsvoll. Jedoch meisterten wir auch diese Herausforderung mit Bravour.

Bald schon konnten wir von einem Aussichtspunkt einen weiten Teil des Rheintals überblicken, der von Burg Maus oberhalb von Wellmich bis zur Burg Katz und zur Freilichtbühne der Loreley reichte. Dort oben tobten sich gerade die letzten Bands eines Hard-Rock Festivals aus und wir konnten zumindest noch "Europe" heraushören die mit "The final countdown" das letzte Stück des Tages spielten – ob die wohl heutzutage immer noch mit ihren markanten, blonden Wuschelperücken über die Bühne jagen? St. Goar, das Ziel unserer Wanderung, lag jetzt schon in Sichtweite. Mit dem sich immer wieder öffnenden Blick zur Burg Rheinfels stiegen wir einen sehr schmalen Serpentinenpfad abwärts nach St. Goar. Den Wegabschnitt über Burg Rheinfels ließen wir aus, da wir uns am Zielort noch ein gepflegtes Eis genehmigen wollten, außerdem war es schon fast halb sieben. Aber das Rheinhochwasser hatte noch eine weitere Überraschung parat. In St. Goar waren buchstäblich die Bordsteine hochgeklappt. Die Bevölkerung hatte sich schon höchst routiniert auf die nahenden Fluten vorbereitet und alles verriegelt und verrammelt. In den Geschäften der Hauptstraße waren die Möbel ausgeräumt und alle Waren auf hohe Regale verfrachtet, vielerorts wurden noch Kellerfenster vernagelt und Hochwasserstege aufgebaut. Trotzdem war keine Hektik zu spüren sondern eher eine ruhige Gelassenheit. Kaum verwunderlich, diese Routine, denn die Anwohner werden ja wohl ungefähr jedes zweite Jahr von einem ordentlichen Frühlingshochwasser heimgesucht.

Nach wenigen, eher resignierten Versuchen noch irgendwo ein Eis aufzutreiben, zogen wir mit unseren Rucksäcken ab zum Bahnhof, lösten die Rückfahrkarten und warteten auf dem nicht wirklich heimeligen Bahnsteig auf die Mittelrheinbahn die uns zurück nach Bad-Salzig bringen sollte. Kurz nachdem wir von dort mit dem Auto losgefahren waren kamen wir ausgerechnet wieder an der Stelle vorbei an der wir zuerst hatten parken wollen. Uuups! Da hatten wir aber Glück, bzw. einen aufmerksamen Anwohner (s.o.) als Warner gehabt, denn die Stelle an der unser Auto zuerst stand lag zwar - wie geplant - im Schatten, aber zusätzlich auch noch ca. 50 cm unter Wasser.
Sehr entspannt, erfüllt mit wunderschönen Eindrücken und auch mit großer Dankbarkeit für den aufmerksamen Hochwasserwarner machten wir uns auf den Heimweg. Glücklicherweise fanden wir in Bad-Salzig noch einen kleinen Imbiss, der auch Waffeleis verkaufte. Na, wer sagt´s denn. Mit einem leckeren Eis in der Hand, wie das in jedem ordentlichen Western so ist, ritten die Protagonisten auf ihrem Stahlross nordwärts in den Sonnenuntergang.

Ich wünsche Euch wie immer einen entspannten Start in die Woche und bin sicher, dass der Sommer jetzt nicht mehr aufzuhalten ist.
Stay tuned!
k0erschgen