Mittwoch, 31. Juli 2013

Rückzug am Beinn Alligin

In aller Regel, versuche ich meine Wanderungen recht zügig nach der Heimkehr zu bloggen weil dann die Erinnerungen und Eindrücke auch in Details noch sehr präsent sind. Diesmal war es ein wenig anders, denn ich habe recht lange darüber nachgedacht, ob ich diesen Blogeintrag überhaupt schreiben will, und was wohl der Inhalt sein würde. Denn diesmal gibt es nur wenige Eindrücke von tollen Landschaften im üblichen Sinne, keine lauschigen Waldpfade und sanfte Hügel – es gibt zudem auch nur sehr wenige Fotos. Diesmal wird es rau, stürmisch und vordergründig ein wenig beängstigend – was in keinster Weise bedeuten soll, dass wir keinen Spaß gehabt hätten, nur irgendwie … anders.

Vor einer knappen Woche hatten wir uns aufgemacht unseren ersten Munro zu besteigen und mussten, nachdem uns ein Gewitter einen gehörigen Schrecken versetzt hatte, noch beim Aufstieg auf den Ridge abbrechen. Heute hatten wir uns, nach eingehender Konsultation der Wetterlage, aufgemacht um den nächsten Versuch zu starten. Gut gerüstet und verpflegt, starteten wir um kurz vor elf vom Wanderparkplatz an der Mitte des Outer Loch Torridon in Richtung Aufstieg. Da wir die Umgebung bis dorthin schon von unserem ersten Versuch kannten, wurde nicht fotografiert, und dank unseres zügigen Tempos, saßen wir bereits nach einer Stunde am Fuße des Berges bei einer kleinen Rast.

Von Gewittern war weit und breit nichts zu sehen, allerdings lag auch die Wettervorhersage mal wieder ziemlich daneben, denn die Sonne lugte nur selten, und nur an wenigen Stellen durch die Wolkendecke. Der Berg, den wir vor uns hatten, lag – wie auch schon bei unserem ersten Besuch – in ziemlich dichten Nebel gehüllt. Allerdings wehte ein frischer bis kräftiger Wind, der die Wolken- und Nebelfetzen schnell um die beiden Gipfel trieb. Wir hofften darauf, dass sich der Nebel in wenigen Stunden verziehen würde.

Mit frischem Mut machten wir uns an den Aufstieg und erkletterten zügig und sicher das erste, steile Stück in Richtung Ridge. Die Kids kletterten sehr konzentriert, gewandt und mit der nötigen Portion Vorsicht die mitunter einen knappen Meter spannenden Stufen aufwärts. Ungefähr auf 500 Metern Höhe, knapp oberhalb der Stelle, an der wir unseren ersten Versuch abgebrochen hatten, bekamen wir einen etwas längeren, leichten Schauer ab, der in Verbindung mit dem Wind ein wenig unangenehm war. Hinter einem größeren Felsen suchten wir Schutz vor den seitlich aufschlagenden Regentropfen und legten eine kurze Essenspause ein.

Nachdem sich der Regen verzogen hatte, ging es weiter, nun über etwas einfacheres und flacheres Terrain. Wir begegneten einem Mann der mit seinem ca. 10-jährigen Sohn die Strecke in umgekehrter Richtung zurücklegte. Wir befragten ihn nach dem weiteren Wegverlauf und bekamen die Antwort: „The way that you have already passed is by far the steepest part, the rest is easy“. Hm, das klang ja viel versprechend. Wie das Wetter auf den Gipfeln denn wäre, wollten wir natürlich auch wissen. „Oh, just the same as it is here. I´ve been up on this mountain for the second time now, but I never saw the ground!”. Hm, nicht so dolle, also. Dennoch zogen wir weiter in Richtung der Nebelgrenze, deren erste Ausläufer uns schon umwaberten. Der Nebel gestaltete sich von innen gar nicht so undurchsichtig wie es von außen anmutete. Die Sichtweite lag irgendwo zwischen zwanzig und dreißig Metern, und da der Pfad immer noch einwandfrei zu erkennen war und wir außerdem den Track auf dem GPS-Gerät hatten, drohte keine Gefahr sich zu verlaufen. Der Wind war inzwischen deutlich kräftiger und wir hegten die leise Hoffnung, dass er das Nebelwetter bald vertreiben könnte - zunächst half er aber schon einmal dabei, die nassen Hosenbeine wieder zu trocknen.

So erreichten wir tatsächlich kurze Zeit später den Ridge auf ungefähr 750 Metern Höhe und begegneten dort einer weiteren, vierköpfigen Wandergruppe. Sie hätten sich dieses Mal den Weg über die Horns (das sind drei kleinere Felserhebungen auf dem Ridge) erspart und wären stattdessen auf dem schmalen Pfad südlich des Grats gewandert. Der Pfad sei hier und da etwas schlammig und nur ca. 30 Zentimeter breit, aber in jedem Fall einfacher zu begehen als der Kletterpfad über die Horns. In jedem Fall würde man das „up and down“ vermeiden und trotzdem rechtzeitig wieder auf den Hauptpfad zum Sgurr Mhor treffen. Wir bedankten uns, wünschten einen guten Tag und setzten unseren Weg in Richtung Gipfel fort. Ein ca. 45-jähriger Mann aus der Gruppe nickte mir kurz noch zu und raunte mir zu: „Watch your steps!“. Dann zogen die vier weiter in Richtung Abstieg. Rückblickend wird mir klar, dass dieser knappe Satz des Wanderkollegen mich bereits ein wenig in Alarmbereitschaft versetzte. Ich ermahnte die Kids noch einmal nachdrücklich, sich sehr aufmerksam auf den Weg zu konzentrieren und setzte mich ausnahmsweise an den Kopf unseres kleinen Zuges um den vor uns liegenden Weg zu erkunden.

Die Nebelsuppe war unterdessen noch etwas dichter geworden. Zwar war immer noch reichlich Sicht vorhanden, allerdings nun nur noch ca. 15 Meter weit. Der wirklich sehr schmale Pfad wand sich ca. 10 bis 20 Meter unterhalb des Ridge am Hang vorbei, der links von uns mit ungefähr 50° abfiel. Die Schwierigkeit des Pfades war, abgesehen von ganz wenigen, einfachen Kletterstellen, ein Klacks und die Passage eigentlich völlig ungefährlich. Nur der ungewisse, durch den Nebel überhaupt nicht einsehbare Abgrund gab dem Ganzen einen etwas unheimlichen Touch, der vor allem bei meiner Liebsten eine leichte, aber nicht zu vernachlässigende Höhenangst auslöste. Auch meiner ältesten Tochter wurde es etwas mulmig zumute. Behutsam und vorsichtig setzten wir den Weg fort. Nach einer Weile erreichten wir wieder den etwas breiteren Hauptpfad und schließlich ein kleines Joch vor dem Aufstieg zum Sgurr Mhor. Hier herrschte, im Gegensatz zum bisherigen Wegverlauf, fast völlige Windstille. Da es zudem nicht regnete ein ausgezeichneter Platz für eine kleine Rast. Laut GPS-Track musste der erste Gipfel nun unmittelbar vor uns liegen. Wir packten unsere Rucksäcke, verließen den Rastplatz in Richtung Westen und erblickten nach wenigen Schritten den felsigen Weg nach oben.

Hier nun erhält unsere kleine Geschichte die, bei genauerer Betrachtung, nicht unvorsehbare Wendung. Beim Anblick des felsigen Aufstiegs zum Gipfel, der sich da so langsam aus dem Nebel schälte, bekam ich ein irgendwie seltsames Gefühl in der Magengegend. Da ich gelernt habe, mein Bauchgefühl nicht zu ignorieren, hielt ich inne und schaute mich zum Rest der Gruppe um. Der Ausdruck in den Gesichtern sprach eine allzu deutliche Sprache – so richtig überzeugt war von unserem Vorhaben offensichtlich niemand mehr. Während ich noch versuchte, mein „gutt feeling“ zu deuten, fragte ich in die Runde, ob wir weitergehen sollten. Die Antwort war so gut wie einstimmig: Abbruch! Die Tatsache, dass wir durch den Nebel überhaupt keine Chance hatten den weiteren Wegverlauf über die nächsten paar Meter hinaus zu beurteilen, die deutlich gesunkene Moral der Expeditionsteilnehmer und die mittlerweile doch schon vorgerückte Stunde machten mir die Entscheidung ziemlich leicht. Wir blieben noch eine kurze Weile auf dem Joch um die Tatsachen zu verdauen. Aus Richtung des Gipfels näherten sich Stimmen. Eine weitere Wandergruppe, die den Weg über die beiden Gipfel gerade hinter sich hatte. In dem folgenden, kurzen Gespräch brachten wir in Erfahrung, dass die Sicht sich auch auf dem Gipfel nicht ändern würde. Wir ließen der Gruppe noch ein wenig Vorsprung und machten uns, etwas niedergeschlagen, auf den Rückweg.

Die Stimmung besserte sich erst wieder merklich, als wir den Rand des Abstiegs ins Tal, und damit auch die Nebelgrenze wieder erreichten. Hier trafen wir abermals auf eine andere Wandergruppe, die sich auf dem Sattel niedergelassen hatte um mit Karte und GPS einen Weg hinab zu planen. Ein drahtiger Vierziger der mit drei Jugendlichen auf einer kleinen Klettertour unterwegs war. Wir hielten einen netten Plausch, sammelten noch ein paar Tipps zu etwas leichteren Munro-Touren und schickten uns an, den Hang zwischen Tal und Ridge zum vierten Mal zu passieren.

Der Abstieg ging zügig und sicher vonstatten, wenn uns auch die zuletzt angetroffene Wandergruppe recht schnell ein- und auch überholt hatte. Drei Kilometer und einen kleinen Regenschauer später, erreichten wir wieder den waldigen Abschnitt in der Nähe des Wanderparkplatzes. Spätestens hier, im fast windstillen Tal, bewährten sich die Moskitonetze die wir am vorvergangenen Tag in einem Outdoorshop in Edinburgh gekauft hatten. Bis wir am Auto ankamen, hüllten dichte Mückenwolken unsere gut geschützten Häupter ein. Mittlerweile strategisch erfahren in der Ungezieferabwehr, brauchte es nur wenige Handgriffe um das Gepäck in den Kofferraum zu befördern, die Schuhe zu wechseln und im Wagen Platz zu nehmen. Dann traten wir, die Fenster weit geöffnet, damit die Zugluft die eingedrungenen Mücken vertreiben konnte, die Rückfahrt nach Erchless Castle an.

Wenn ich abergläubisch (oder gläubig, oder was auch immer) wäre, wäre ich möglicherweise zu der Überzeugung gelangt, dass irgendeine höhere Macht nicht will dass wir auf diesen Berg steigen. Da ich mir aber einbilde mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität zu stehen, sehe ich es als das was es wahrscheinlich war: der falsche Ort zur falschen Zeit, oder vielleicht ganz schlicht, schlechtes Wetter. Was mich allerdings immer noch beschäftigt, ist dieses seltsame Bauchgefühl, dass sich in mir beim Anblick des Aufstiegs zum Sgurr Mhor ausgebreitet hatte. Obwohl die gesamte Tour zu keiner Zeit wirklich bedrohlich war - alle sind umsichtig und sicher geklettert, wir hatten keine Gefahr uns zu verlaufen, genügend Proviant und Wasser dabei und das bis dahin passierte Terrain war nüchtern betrachtet eher ungefährlich - hatte ich an diesem Punkt plötzlich und völlig unerwartet einen Heidenrespekt vor dem bekommen was da vielleicht noch auf uns warten würde. Rückblickend ist mir allerdings klar geworden, dass wir zu diesem Zeitpunkt definitiv am Limit angekommen waren, und das nicht mal physisch, sondern viel eher mental. Unsere Kraft hätte vermutlich locker gereicht für den weiteren Weg über die beiden Gipfel und auch für den Abstieg auf der anderen Seite, aber weitere Unsicherheiten oder andere, zusätzliche Belastungen, hätten uns vielleicht in eine bedrohlichere Situation bringen können. Vermutlich war dieses Gefühl in meinem Bauch ganz einfach die Angst vor Überforderung.

So bin ich heute, nach einem Tag Abstand, wieder mit dem Beinn Alligin versöhnt. Es tut mir nicht leid, dass wir die Tour abgebrochen haben – es hätte ja sowieso nichts zu sehen gegeben und die Höhenmeter-Statistik kann man auch anders befüllen. Vielmehr bin ich sehr dankbar dafür, dass meine Instinkte offenbar noch gut funktionieren, und mir im vermutlich entscheidenden Moment den richtigen Impuls geben konnten. Mein höchster Respekt gebührt vor allem meinen Wandergefährten, in Person meiner beiden Töchter, die mich, wenn´s nach draußen geht, immer wieder aufs Neue mit ihrer unfassbaren Power zu überraschen wissen, meiner nervenstarken Liebsten, die ihre aufkeimende Höhenangst trotz der unheimlichen Situation gut in den Griff bekam und nicht zuletzt ihrem Sohn, der uns heute vor allem auf dem ersten Teil des „Rückzugs“ eine große Hilfe war, weil er beständig und aufmerksam dafür sorgte, dass wir nicht zu weit auseinander fielen, während ich das Schlusslicht bildete.

Ein paar Tage bleiben uns noch, aber die Wettervorhersage ist nicht gerade rosig, so dass wir wahrscheinlich keinen weiteren Versuch mehr starten werden, einen Munro zu erobern. Aber so wie es aussieht, war das nicht unser letzter Urlaub in Schottland.

Ich wünsche Euch allen eine gute Zeit, und dass Eure Sinne immer wachsam bleiben mögen.
Stay tuned …
k0erschgen










Freitag, 26. Juli 2013

Epic Fail am Beinn Alligin

„Ihr bleibt ja nur im Tal, da liegen doch so viele tolle Munros in der Nähe“ hatte mein ehemaliger Kollege und höchst erfahrener Munrobagger Frank auf meinen Facebook-Post mit der Loch Affric Tour geantwortet. Hmm, Recht hat er. Wenn man schon in den Highlands unterwegs ist, muss man wahrscheinlich auch einmal den Ausblick von einem dieser hohen Berge genossen haben. Da es neben seiner eigenen Website www.bgmb.de (sehr schöne Bilder, übrigens!) auch noch viele andere Seiten rund um die Munros gibt, ist es kein Problem sich entsprechende Informationen zu beschaffen. Als ersten Wurf eines Plans hatte ich zwei Gipfel des Berges Liathach am Nordufer des Loch Torridon ausgesucht. Zehn Kilometer Rundwanderung, ca. 1100 Meter Gesamtanstieg. Auf meine Rückfrage nach der Begehbarkeit des Ridge zwischen den beiden Gipfeln meinte Frank allerdings: „Uiih, sehr, sehr steiler Anstieg! Wenn Du Dir nicht sicher bist, einfach auf einen der Nachbarberge ausweichen“. Gute Ratschläge von erfahrenen Fachleuten sollte man beherzigen, und so wurde es dann eine ebenso zehn Kilometer lange Runde auf den etwas leichteren und niedrigeren Beinn Alligin, der mit seinen zwei Gipfeln Sgurr Mhor (983 Meter) und  Tom na Grugaich (924 Meter) für unsere erste Bergtour in den Highlands herhalten sollte.

Gut anderthalb Stunden dauerte die Anfahrt. Das Wetter war als wechselhaft angekündigt, und dieser Eindruck bestätigte sich, je weiter wir nach Nordwesten vorankamen. Als wir endlich Loch Torridon erreichten konnten wir den zuerst anvisierten Berg in Augenschein nehmen. Uff, das sah wirklich verdammt steil aus. Zudem lagen die beiden Gipfel noch tief in den Wolken verborgen. Wir hielten am Wanderparkplatz, warteten noch kurz einen kleinen Schauer ab und machten uns auf den Weg durch einen lichten Kiefernwald zum Anstieg auf den Ridge am östlichen Eck des Berges.

Einem anderen guten Rat folgend hatten wir uns einen Tag vorher im „Highland Soap Shop“ in Fort William mit einer Lotion namens „Bog Myrtle“ gegen die Midges versorgt, nachdem wir einige erfolglose Versuche gestartet hatten „Skin so soft“ von Avon zu bekommen. Nach edlen Kräutern duftend, hatten wir für die Midges heute wohl tatsächlich unsere appetitanregende Wirkung verloren. Sie flogen zwar öfters einmal an, hielten es jedoch nicht allzu lange in unserer Gegenwart aus – Kulturbanausen!

Der Weg führte leicht aber stetig aufwärts über einen gewundenen, gut befestigten Pfad in Richtung Beinn Alligin. Die Ausblicke die wir hier hatten waren den weiten Weg schon fast wert, was würde sich wohl für ein Panorama von den Gipfeln bieten? Der einzige Punkt der uns ein wenig Sorgen machte, befand sich ca. 7 Kilometer weiter östlich. Dort, ungefähr am Beinn Eighe, hingen noch die Reste eines Gewitters das sich in längeren Abständen durch ein leichtes Wetterleuchten und fernes Donnergrollen bemerkbar machte. Wir beschlossen, die Angelegenheit im Auge zu behalten und hofften darauf, dass es sich  bald verziehen würde. Der landeinwärts wehende Wind brachte in jedem Fall deutlich lockerere Wolken mit sich und so setzten wir unseren Weg in ruhigem Tempo fort. Eine Ansammlung großer Steine die von der leichten Brise umflutet wurden bot uns nach ca. 4 Kilometern Gelegenheit für eine längere Rast bevor das Terrain steiler wurde. Der weitere Weg auf den Berg war von hier aus noch nicht zu erkennen, aber das es aufwärts gehen würde, war uns ja schon irgendwie klar.

Dann standen wir relativ schnell vor dem steilen Anstieg auf den Berg und uns wurde bewusst, dass jetzt wohl ein wenig Klettern angesagt war. Die Kids zögerten keine Sekunde und nahmen den Hang beherzt in Angriff. Der Weg war ab hier sehr gut erkennbar, er führte über eine Art natürliche Treppe aus Sandsteinblöcken mit ca. 45° Steigung nach oben. Der Vergleich mit einer Treppe hinkt natürlich ein wenig, weil hier das normgerechte Verhältnis zwischen Stufenhöhe und Auftritt vom Architekten nicht so ganz konsequent umgesetzt war – an einigen Stellen mussten wir uns doch schon ein wenig strecken. Alles in allem aber trotzdem gut zu bewältigen, insbesondere weil der Sandstein auch in leicht nassem Zustand vergleichsweise guten Grip bietet.

Der Aufstieg war dennoch ganz schön anstrengend. Auf einem kleinen Sattel angekommen, beschlossen wir eine kurze Rast zu machen um etwas zu trinken und den strapazierten Knochen eine kleine Pause zu gönnen, da passierte es: Fast völlig aus dem Nichts ein Blitz! Nicht besonders heftig - aber der ca. 4 Sekunden darauf folgende Donner ließ keinen Zweifel, dass das Gewitter sich offensichtlich schlagartig in unsere Richtung verlagert hatte. Die Entscheidung die Tour abzubrechen benötigte keine weiteren 4 Sekunden. Auf dem Berg möglicherweise in schlechtes Wetter zu geraten ist keine wirklich ermutigende Perspektive. So ein Mist! Zügig aber ohne Hast machten wir uns wieder an den Abstieg, nahmen seufzend jeden einzelnen Tritt den wir erklommen hatten wieder abwärts und hofften, dass das Unwetter nicht noch näher kommen würde.

Unsere Hoffnung sollte sich auf ironische Art bald bestätigen, denn der Blitz, der uns zum Aufgeben zwang war der letzte den dieses Gewitter zu bieten hatte. Als wir wieder einen Blick durch das Tal in Richtung Beinn Eighe werfen konnten, hatten sich dort die dunklen Wolken komplett verzogen und waren einem weißen, lichten Hochnebel gewichen. Trotzdem war die Entscheidung die Tour abzubrechen die einzig richtige, und ich würde sie in ähnlichen Situation jederzeit wieder genauso treffen.

Der Rückweg wartete mit weiteren Überraschungen auf. Es hatte leicht zu regnen begonnen, und die frische Brise hatte sich komplett irgendwo anders hin verkrümelt. Schwüle Luft lag über dem Tal - ideale Bedingungen also für fliegendes Getier aller Art. Die Midges ließen uns zwar in Ruhe, hatten aber die Infanterie in Gestalt winziger Mücken voran geschickt, die sich offenbar einen Dreck um „Bog Myrtle“ scherten. „You will need them. £3 each“ stand auf dem Schild das ich am Vortag in einem kleinen Anglerladen in Fort William unter der Auslage mit den Moskitonetzen gesehen, und leicht belächelt hatte. Ich weiß auch nicht, warum mir dieser Slogan gerade jetzt wieder in den Sinn kam.

Schlagend und wedelnd, abwechselnd wischend und spuckend (weil die Biester vornehmlich in kopfnahen Körperöffnungen Schutz vor dem Regen suchten) gingen wir unseren Weg zurück in Richtung Parkplatz um eine weitere, eindrucksvolle Erfahrung reicher. Wir verzogen uns so schnell es ging ins Auto und fuhren die Straße in Richtung Diabaigh und weiter zur Küste, in der Erwartung dass wir dort bei einer frischen Brise etwas verschnaufen könnten. Aber weit gefehlt, auch dort hatten die Mücken alles fest im Griff und so genossen wir wenigstens die luftige Fahrt über die abenteuerliche Straße entlang des Outer Loch Torridon und nutzen den Fahrtwind, der uns half die ins Auto eingedrungenen Plagegeister endgültig loszuwerden.

Irgendwie hatte ich mir den Tag deutlich anders vorgestellt: statt erhabener Blicke über die schottischen Highlands erlebten wir eine vernichtende Niederlage durch einen einzigen Blitz und viele Millionen kleine Infanteristen. Vergessen werden wir diese Tour aber garantiert nicht so schnell. Beinn Alligin, wir kommen wieder, dann vielleicht etwas seltsam gewandet, mit Hüten und lustigen Moskitonetzen auf dem Haupt, aber das ist mir dann so was von egal …

Stay tuned
K0erschgen



Dienstag, 23. Juli 2013

Rund um Loch Affric

Nachdem wir uns einen Tag in unserem Cottage in der Nähe von Inverness eingelebt hatten, war das gelangweilte Murren unserer frisch geputzten und gewachsten Wanderstiefel, die auf ihren ersten Einsatz in den schottischen Highlands warteten, nicht mehr zu überhören. Am ersten Tag nach unserer sehr strapaziösen Anreise mit dem Auto (glatte 24 Stunden „on the road“, weil wir nach der letzten, sehr kraftzehrenden Arbeitswoche unsere nächtliche Fahrt immer wieder zugunsten von Ruhe- und Schlafpausen unterbrechen mussten) waren wir zwar schon ein paar Kilometer entlang des River Beauly spaziert, dies allerdings in Sneakers und Shorts. Für eine erste, ausführliche Begehung des Wanderlandes hatten wir uns eine 18 Kilometer lange Tour rund um Loch Affric ausgesucht. Das gleichnamige Tal, Glen Affric, liegt nur eine knappe Autostunde von unserem Stützpunkt Erchless Castle entfernt und gehört für Wanderer in Schottland quasi zum Standardprogramm.

Nach einem ausgiebigen Frühstück ging es los in Richtung Südwesten. Bald schon konnten wir unsere erst kürzlich erworbenen Linksfahr-Erfahrungen erweitern um die für die Highlands nicht unüblichen „Single track roads with passing places“. Zuerst kam uns Bewohnern des Autolandes Deutschland das etwas unheimlich vor, aber schon nach kurzer Zeit hatten wir uns daran gewöhnt, dass hinter jeder Biegung (und die Kurven dieser Straßen sind wirklich unübersichtlich) der Tod lauern könnte. Erstaunlicherweise ging aber alles gut, zum Einen weil auf der Straße durch den Glen Affric kaum Gegenverkehr herrschte, zum Anderen weil die Schotten offenbar sehr freundliche Zeitgenossen sind, die auch schon einmal über kleinere Fehler von ungeübten Touristen gutwillig hinwegsehen. Man grüßt sich freundlich, während man aufmerksam den schwindenden Platz zwischen dem eigenen und dem gegnerischen rechten Außenspiegel beobachtet, und fährt munter und erleichtert weiter seines Weges.

Das Wetter war für schottische Verhältnisse ausgesprochen gut. Schon seit dem Tag unsere Ankunft erreichten die Tageshöchsttemperaturen locker 25 Grad - Celsius, versteht sich, und auch während unserer Anfahrt zum Wanderparkplatz wurden wir ununterbrochen von der Sonne beschienen. Am Parkplatz von Loch Affric angekommen, wurden wir sogleich zahlreich und freudig begrüßt, und zwar von den Midges. Diese lästigen kleinen Biester, in Deutschland wohl eher unter dem Namen Pferdefliegen oder Bremsen bekannt, wurden für weite Strecken der heutigen Wanderung unsere Begleiter. Wir versuchten es mit Eukalyptusöl auf den Unterarmen, aber das störte die Tierchen fast gar nicht. Also blieb uns nichts anderes übrig, als die Regenjacken aus dem Rucksack zu kramen – bei der herrschenden Außentemperatur keine erbauliche Perspektive. Ich für meinen Teil, ließ die Jacke wo sie war und beschloss die Plagegeister einfach zu ignorieren und den Widrigkeiten wie ein Highlander zu trotzen, was mir streckenweise tatsächlich gelang, verfluchte mich aber insgeheim dafür, nicht frühzeitig geeignete Abwehrmaßnahmen eingeleitet zu haben. Die juckenden, kleinen Beulen auf meinen Unterarmen, erinnerten mich noch tagelang an meine Heldentat. Die Kids nahmen es irgendwann sportlich, zählten die beim Bissversuch erlegten Midges und konnten bald eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen, die das tapfere Schneiderlein vor Neid hätte erblassen lassen.

Glen Affric mit seinen beiden großen Seen Loch Beinn a’Mheadhain im Osten und Loch Affric im Westen ist ein Naturpark der an Vielfalt kaum zu überbieten ist. Während der Osten überwiegend dicht mit Kiefern bewaldet ist, besticht der Westen durch eine für die Highlands typische, karge Heidelandschaft. Um den kompletten Glen gründlich zu erkunden benötigt man bestimmt mehrere Tage, wir haben im Netz allerdings nur den GPX-Track für die Rundtour um Loch Affric gefunden. Die Tour wartet nicht mit alpinen Schwierigkeiten auf - insgesamt kommen auf der Runde nur etwa 350 Höhenmeter Anstiege zusammen - dafür aber mit wunderschönen, atemberaubenden Ausblicken auf den See und über die wilden Heidewiesen. Jetzt im Hochsommer stehen diese überall in voller Blüte und es gibt die unterschiedlichsten Pflanzen zu entdecken. Gottseidank ließ die Midges-Plage nach einiger Zeit ein wenig nach, vor allem wegen des leicht auffrischenden Windes – bei Wind fliegen die Viecher nämlich nicht so gerne und bleiben lieber am Boden. So konnten wir uns zu einer längeren Rast am Wegesrand niederlassen und die eindrucksvolle Atmosphäre genießen. Völlig ungewöhnlich war für uns auch die völlige Stille die durch keinerlei Zivilisationslärm wie Autos oder Flugzeuge gestört wurde, vorausgesetzt wir erwischten eine Sprechpause unserer Kids.

Am westlichen Ende des Loch Affric angekommen, kassierten wir einen kurzen Regenschauer, der aber nicht wirklich unangenehm war. Hier ist landschaftlich der schönste Abschnitt der Tour zu finden. Der weite Blick in die angrenzenden Täler im Westen, die sanft ansteigenden, felsigen Hänge der Berge, das allgegenwärtige Wasser in Form des River Affric und einiger kleiner Nachbarseen sind einfach unbeschreiblich. Meine kläglichen Versuche, die Szenerie fotografisch einzufangen könnt Ihr wie immer unten in der Bildergalerie sehen.

Der Rückweg auf der südlichen Seite des Loch Affric führt über einen breiten, gut ausgebauten, aber dennoch steinigen Weg. Hier gibt es sehr viele bizarr geformte Bäume zu bewundern. Von der Mitte dieses Weges hat man einen guten Blick auf den 1036 Meter hohen Sgurr Na Lapaich auf der gegenüberliegenden Seite, dessen Gipfel sich heute allerdings meistens in Wolken hüllte. Die Heidewiesen verschwanden allmählich und wurden von ausgedehnten Bereichen mit Farnbewuchs abgelöst. Auch Birken kommen häufig vor, sind allerdings an Wuchshöhe und Blattgröße viel kleiner als unsere deutschen Exemplare.

Eine weitere kurze Rast zwischen zwei kleinen Hügeln links und rechts des Weges bot eine schöne Sicht auf einen kleinen, versteckt liegenden Nachbarsee. Hier bekamen wir auch einen ganz kleinen ersten Vorgeschmack welche anderen Plagegeister die Highlands im Hochsommer noch in petto haben. Bereits nach wenigen Minuten Stillstand fanden sich in unserer Nähe viele winzig kleine schwarze Mücken ein die sich, freilich ohne vorher zu fragen, einfach auf die unbedeckten Hautstellen setzten. Also ging es weiter in Richtung Ausgangspunkt der Wanderung. Auf den letzten drei Kilometern kam die Sonne wieder zum Vorschein und zauberte neben einem traumhaften Licht auf den umliegenden Hügeln und Wäldern auch noch eine leichte Schwüle hervor. Da der Wind sich mittlerweile wieder gelegt hatte, kamen mit der Sonne auch unsere eingangs erwähnten Plagegeister wieder. Wieder hieß es die Arme bedeckt halten oder sich die Midges durch geschicktes Wedeln und Schlagen mit den Armen vom Leibe zu halten. Die Kids waren bei der Zählung der erlegten Exemplare bereits jenseits der fünfziger Marke angekommen und es sollten noch viele folgen.

Gerne hätten wir, am Parkplatz angekommen, noch ein wenig mehr Zeit dort verbracht um einen langen, ruhigen Blick über die wunderschöne Landschaft schweifen zu lassen, aber die letzten Minuten vor der Abfahrt waren von strategischen Manövern zur Vermeidung unnötiger Bremsenbisse geprägt, in anderen Worten: wie steigen fünf Leute in ein Auto ein, ohne sich unnötig viele fliegende, blinde Passagiere mit an Bord zu holen.

Den Track zum Nachwandern findet Ihr wieder bei www.gpsies.com. Wenn uns auch die Midges arg geplagt haben, kann ich diese Tour jedem Schottlandbesucher nur allerwärmstens empfehlen - es soll ja auch gute Abwehrmittel gegen die Plagegeister geben (der Geheimtipp der Fliegenfischer ist übrigens die Bodylotion "Skin so soft" von Avon). Unsere nächste Tour wird uns auf die hohen Berge der Highlands führen, und zwar auf einen der sog. Munros, die eine Höhe von mindestens 3000 ft. Haben und von denen es in den Highlands 284 Stück gibt – genug Auswahl ist also vorhanden.

Wie immer wünsche ich allen arbeitenden oder daheim gebliebenen, eine entspannte Woche.
Stay tuned!
k0erschgen