Montag, 4. Juni 2012

Enge Schluchten und steile Pfade durchs Hohe Venn

Wenn man sich die blanken Fakten unmittelbar vor Antritt der heutigen Wanderung anschaut, könnte man denken es handele sich um eine Anleitung zu „Wie baue ich mir mein ganz persönliches Wanderdesaster?“:

  • Streckenlänge: 31km/34km
  • Gesamtanstieg: 930m/630m
  • Neue Wanderschuhe, bisher erzielte Laufleistung: ca. 20km
  • Wettervorhersage: „leichter Regen“, Niederschlagswahrscheinlichkeit: 85%
  • Schlaf: 3h
  • Bei 1. Ankunft am Parkplatz festgestellt: Regenjacke vergessen. Umkehr und 2. Anfahrt. Daraus resultierende Startzeit 11:00 Uhr
  • Sonnenuntergang: 21:37 Uhr

Ein Abbruch wäre unter diesen Umständen durchaus nicht unehrenhaft gewesen, man hätte den Sonntag ja auch bequem auf der Couch verbringen können. Für wirklich schwer vom Wandervirus befallene ist das allerdings nicht wirklich ein Grund von einem bereits gefassten Plan Abstand zu nehmen.

So starteten wir dann tatsächlich zur eingangs erwähnten Zeit am Naturschutzzentrum Botrange in der Wallonie auf die schon so lange ins Auge gefasste Venntour. Bei www.naturaktiverleben.de, dem GPS-Wandertourenanbieter meines vollsten Vertrauens, gibt es zu dieser Rundwanderung, neben der gewohnt ausführlichen Beschreibung der Streckenabschnitte, einige auffallend lange Logeinträge von Wanderkollegen, die sich mit den Details dieser Premiumrunde befassen und die man sich, zur Einstimmung und gebührenden Wappnung auf das Kommende, ruhig ein wenig gründlicher zu Gemüte führen sollte.

Das Hohe Venn gehört mit seinen knapp 690 m. ü.N.N. zu den höchsten Erhebungen der Eifel/Ardennen und man sollte denken dass, wenn man auf dem höchsten Punkt beginnt, sich das meiste Wasser, auch bei Regenwetter, eher unten aufhält (das Zeug läuft ja gewöhnlich den Berg hinunter) aber weit gefehlt: das Wasser war irgendwie überall, wie es sich wohl für ein ordentliches Moor gehört, und wurde vom Anfang bis zum Ende unser treuer Begleiter, und das nicht nur zu unseren Füßen, sondern auch über unseren Köpfen.

Die Wege auf dieser Tour haben es absolut in sich. Während ich zu Anfang noch dachte, dass sich das Durchschnittstempo bei ca. 4,5km/h einpendeln würde, stellte sich nach dem ersten Viertel heraus, dass wir wohl eher bei 3,5km/h landen würden. Es ging zu 85% über enge, von Wurzelwerk überzogene Pfade, mit felsigen Abschnitten und über die für das Venn so charakteristischen Holzstege und schier unzähligen Brücken. Waldautobahnen findet man kaum, und wenn, dann eher im letzten Drittel. So eine Strecke verlangt allerhöchste Konzentration, es sei denn man hat ernsthaft vor in den nächsten Stunden noch einen Orthopäden aufzusuchen. Darum ein eindringlicher Rat: geht diese Tour, wenn es sich einrichten lässt, nicht alleine an. Die Wanderung führt in einigen Passagen über eher wenig frequentierte Wege und wenn man dort mit Knochenschaden liegenbleibt könnte sich die Hoffnung auf Hilfe durch andere Erholungssuchende evtl. als trügerisch herausstellen. Wenn man über die nötige Trittsicherheit, das richtige Schuhwerk und die nötige Kondition verfügt, macht es jedoch einen Heidenspaß auf diesen Pfaden zu wandern.

Und jetzt kommen wir zu dem Punkt, der all die zu Beginn erwähnten, negativen Fakten endgültig aufwog: der Landschaft. Das hohe Venn liegt Luftlinie ca. 15km von den Orten entfernt an denen sich während der letzten 4 Jahrzehnte mein Lebensmittelpunkt befand, und ich bin noch nie dort gewesen – was für eine Schande! Meine Tante, die selber seit vielen Jahren Wandergruppen durch die Eifel lotst, hat vor kurzem noch zu mir gesagt: „Das Venn ist zu jeder Jahreszeit eine Wanderung wert.“ und jetzt möchte ich den Satz gerne noch um „... und bei jedem Wetter ...“ ergänzen. Weder der wolkenverhangene Himmel noch der beständig fallende leichte Regen (und hier traf die Wettervorhersage absolut ins Schwarze) konnten der Landschaft ihren herben, mystischen Reiz nehmen. Die tief eingeschnitten Täler von Warche und Ghasterbach, durch die es in der ersten Hälfte der Wanderung geht, sind mit dem Begriff „wildromantisch“ nur unzureichend beschrieben. Leider blieb uns wegen der nebelverhangenen Bergkuppen der Fernblick an den vielen, spektakulären Aussichtspunkten verwehrt, aber das werde ich ganz sicher noch einmal bei besserem Wetter nachholen.

Nach einer kurzen Rast in der Jupiler Mühle nahe des Ortes Bevercé (die Restauration ist eher was für gestandene Bieralkoholiker mit mäßigem Appetit – die Karte weist stolze zwanzig Biersorten auf, aber nur sieben kleine Gerichte, davon 4 warm und zur Zeit unseres Aufenthalts nur eins verfügbar – hmm, lecker Toastie!) ging es, langsam aber stetig, satte 340 Höhenmeter bergauf. Davon den ersten Teil über einen wirklich abenteuerlichen Pfad, der der bereits gewohnten Nässezufuhr von unten (Pfützen/Moor) und oben (Regen) nun noch die Varianten von links und rechts (tiefhängendes Baum- und Buschwerk) beifügte. Die Wege waren immer klar zu erkennen, aber teilweise so was von zugewachsen, wie die Rastamatte von Bob Marley in seinen besten Zeiten. Ab diesem Zeitpunkt bekam der Nachmittag wirklich einen leichten Touch Survivaltraining und wir fühlten uns schon ein kleines Bisschen wie Rüdiger Nehberg.

Danach führte uns der Weg über die typischen Vennlandschaften: offene, weite Moorheiden auf denen nun auch der Wind, zusammen mit seinem Spießgesellen, dem Regen, sein verhehrendes Werk an der Kleidung der Protagonisten ausführen sollte. Zudem stellte sich die Strecke, zumindest wenn man der Aufzeichnung des GPS-Gerätes Glauben schenkt, als 3 Kilometer länger heraus als geplant. Die Anzahl der aufwärts zurückgelegten Höhenmeter beträgt laut meiner Messung dafür aber nur 630 anstatt 930.

Nach 10 Stunden, von denen wir lediglich eine halbe sitzend in der Jupiler Mühle zugebracht haben, kamen wir wieder am Parkplatz an, gerade mal 39 Minuten vor Sonnenuntergang. Sacknass trotz Funktionskleidung, mit einem beginnenden Hungerast, aber erstaunlicherweise völlig intaktem Bewegungsapparat, 100% blasenfrei(!) trotz pfuschneuer Schuhe und immer noch bester Stimmung (die sicher in reine Euphorie umgeschlagen wäre, hätte uns die Sonne vielleicht ein/zwei Stunden geschienen) beendeten wir eine sehr schöne Wandertour die wir bestimmt nicht so schnell vergessen werden. Wanderbegleitung und Musikerkollegin Marita, die sich zum ersten Mal so einer langen (und überaus schwierigen) Tour stellte, hat sich wacker geschlagen, allen Widrigkeiten getrotzt und sich nicht die Laune verderben lassen – chapeau, chapeau! Nach einer solchen Strapaze, die wir auf dem Weg kaum wahrgenommen hatten, wird auffällig wie sehr die kleinen Dinge wieder in den Vordergrund rücken und man erfreut sich fürstlich an solchen Trivialitäten wie 1,5 Reiswaffeln mit Schokoladenüberzug oder einer funktionierenden Heizung im Auto.

Sagte ich übrigens schon, dass ich dort in Kürze wieder aufschlagen werde um mir das Ganze nochmal bei Sonnenlicht anzuschauen? Der Plan wäre dann, um 06:00 morgens den ersten Teil zu absolvieren, an der Jupiler-Mühle zur Mittagszeit drei Stunden die Seele baumeln zu lassen (natürlich mit eigener Verpflegung, s.o.) um dann in der Abendsonne durch die Moorheide zum Ausgangspunkt zurück zu kehren. Dann wird es auch jede Menge Fotos geben; die heutige Ausbeute fiel eher spärlich aus, weil die Kamera häufiger in der wasserfesten Verpackung bleiben musste.

Meiner Ansicht nach, kann die Woche ruhig kommen – es wird ja für mich und viele andere auch nur eine kurze werden. Euch wünsche ich einen entspannten Start und verabschiede mich bis demnächst.

k0erschgen





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